Wohnbebauung am Westrand des Lützowplatzes

Wohnbebauung am Westrand des LützowplatzesBeitrag von Anne Funk und Dirk Kaden

• Lage: Lützowplatz 2–18 (gerade), Wichmannstraße 1 und 3
• Bautyp: Wohnhäuser
• Bauzeit: 1979–83
• Architekt: Oswald Mathias Ungers
• Bauherr: Artur Pfaff

Die Wohnbebauung am Westrand des Lützowplatzes entstand 1979 bis 1983 im Rahmen des öffentlich geförderten Wohnungsbaus und im Vorfeld der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987. Die IBA 87 nahm die von Oswald Mathias Ungers entworfene Wohnanlage als beispielhafte Lösung als Projekt 16 auf. Die Häuser befinden sich auf dem Areal des Blocks 220 im IBA-Demonstrationsgebiet Südliches Tiergartenviertel. Der Block wird im Süden von der Wichmannstraße, im Osten vom Lützowplatz und im Norden vom Lützowufer begrenzt.

Nach einem 2008/09 erfolgten Abriss der Häuser Lützowufer 20-23 und Wichmannstraße 2 sowie der Beseitigung der Hofgestaltung besteht die Wohnanlage heute aus dem Wohnblock Lützowplatz 2-18 (gerade) und den Häusern Wichmannstraße 1 und 3.

Wohnblock Lützowplatz 2–18, Straßenansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Wohnblock Lützowplatz 2–18, Straßenansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Die städtebauliche Ausgangssituation vor den IBA-Planungen und Entwicklungen im Umfeld
Die städtebauliche Entwicklung des Gebietes um den heutigen Lützowplatz vollzog sich auf Grundlage des Bebauungsplan für Berlin, Charlottenburg und Umgebung („Hobrechtplan“) von 1859/60. Die Anlage des Platzes erfolgte in den 1860er Jahren. Zu Ehren des Freiherrn Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow bekam der Platz 1869 seinen Namen. 1900 wurde der Lützowplatz nach Plänen von Hermann Mächtig gärtnerisch gestaltet. Im frühen 20. Jahrhundert war das Gebiet eine von Künstlern und Prominenten bewohnte gutbürgerliche Gegend. Den vornehm bürgerlich gestalteten Stadtplatz umgaben repräsentative Wohn- und Geschäftshäuser. Der 2. Weltkrieg hinterließen ein fast vollständig zerstörtes Stadtgebiet. In den 1950er und 1960er Jahren bestimmte die Verkehrsplanung der „autogerechten Stadt“ die städtebauliche Entwicklung rund um den Lützowplatz. In dieser Zeit wurde die „Cityumfahrung“ mit dem mehrspurigen Ausbau der Schillstraße und der Umbau der Einemstraße realisiert. Der daraufhin verkleinerte Lützowplatz erfuhr 1965/66 nach Entwürfen von Eberhard Fink eine Umgestaltung. In den 1950er bis 1970er Jahren entstanden am Lützowplatz das Hotel Berlin, das Verwaltungsgebäude der Preussag und das Bürohaus der Volksfürsorge. Ansonsten prägten die Abwicklung des Autoverkehrs und die von Kriegsschäden abgeräumten Flächen das Stadtgebiet des Lützowplatzes.

Die Entwicklung des Lützowplatzes der 1980er Jahre bestimmte der Rückbau von Straßenflächen, der 1987 von der IBA durchgeführte Ideenwettbewerb Lützowplatz und die Erweiterung des Hotels Berlin (IBA-Projekt 17). 1983 erfolgte der teilweise Rückbau der Einmündung der verlängerten Einemstraße in die Schillstraße und die Begrünung der gewonnenen Fläche mit Rasen. Im November 1987 wurde der Wettbewerb mit der Vergabe von 5 gleichgestellten Preisen, fünf Ankäufen und der Empfehlung der Jury zur Überarbeitung der Pläne der Preisträger abgeschlossen. Folgend sollte die Gestaltung des Lützowplatzes nach dem überarbeiteten Entwurf der Landschaftsarchitekten Müller/Knippschild/Wehberg ihren Abschluss finden. Durch die 1986/87 erfolgte Errichtung der Blockrandbebauung Einemstraße/Lützowplatz im Zuge der Erweiterung des Hotels Berlin nach Plänen von Michael König, Klaus Theo Brenner und Benedict Tonon wurde die südlichen Kante des Lützowplatzes geschlossen.[1]

Wohnblock Lützowplatz 2–18, Straßenansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden
Wohnblock Lützowplatz 2–18, Straßenansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden

Als theoretisches Grundgerüst der Idee von Stadt, die im Vorfeld der Errichtung der Wohnbauten von O. M. Ungers von Bedeutung waren und den ausgeführten Bau der Wohnanlage am Lützowplatz erklären, sind zwei 1977 und 1978 an der Cornell-Universität Ithaka (USA) unter Federführung von Oswald Mathias Ungers durchgeführte Sommerworkshops zu nennen. Die Workshops hatten städtebauliche Analysen und Vorschläge zur baulichen Entwicklung von West-Berlin zum Thema und standen u. a. unter dem Thema „Stadt in der Stadt“, „Stadtvilla“ und „Der Garten als Stadt, Stadt als Garten“.

1977 legte Ungers in Zusammenarbeit mit Hans Kollhoff, Rem Koolhaas, Peter Riemann und Arthur Ovaska die Studie „Die Stadt in der Stadt. Berlin das Grüne Stadtarchipel“ vor, der weitere Diskussionen folgten. Das von den Architekten entwickelte Konzept „Stadt in der Stadt“ und der „Grüne Archipel“ beruhte auf Vorstellungen der Existenz individueller Stadteinheiten, die durch grüne Land- und Nutzflächen miteinander verbunden sind. Entgegen Konzepten einer Rekonstruktion des Stadtkörpers entwickelte sie eine Figur von Stadtinseln innerhalb einer polyzentralen Stadt. West-Berlin sollte sich in seiner weiteren Entwicklung auf wenige wertvolle Teile der Stadt konzentrieren und Brachen sowie Zwischenräume als Grünräume nutzen. Aus dem Kontext der „Stadt in der Stadt“ entwickelten die Architekten das Konzept der „Stadtvilla“ als urbane Wohnform ab.[2]

Im selben Zeitraum fertigten Ungers, K. L. Dietsch, Hans Kollhoff und Arthur Ovaska Ideenentwürfe für ein Hotel- und Geschäftshaus auf dem Grundstück des Hotel Berlin an. Die Entwürfe wurden verworfen. In der Folgezeit und noch vor Installierung der IBA 84 kam es zur Beauftragung von Oswald Mathias Ungers für das Wohnungsbauvorhaben am Westrand des Lützowplatzes.[3]

Wohnblock Lützowplatz 2–18, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden
Wohnblock Lützowplatz 2–18, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden

Die städtebauliche Aufgabe/Demonstrationsziele der IBA
Thematisch greift Unger in seinem Entwurf die Problematik des Wohnens an einem verkehrsreichen Platz auf. Er schafft in seiner Planung einen Lösungsansatz, die die Intimität des Wohnens und die öffentlichen Räume gleichermaßen nebeneinander verbindet.[4] Das Ergebnis ist eine große urbane städtebauliche Form. Das Wohnprojekt von Oswald Matthias Unger gestaltet sich zum Lützowplatz hin als durchgehend Mauer mit einer geschlossenen Fassadenfront, die den Lützowplatz an seiner Westseite begrenzt und die Wohnbereiche abschirmt.

Die Internationale Bauausstellung 1987 nahm die Entwurfsidee wie folgt als Demonstrationsziele auf: „Introvertiertes Wohnen an einem verkehrsreichen Platz durch eine auf den Blockinnenraum bezogene Wohnform mit großen Terrassen der Geschosswohnungen und Gärten der Erdgeschosswohnungen bei relativ hoher baulicher Dichte“, „interne Blockdurchwegung mit Spielbereichen zur Gliederung der privaten und halböffentlichen Zonen“.[5]

Bauliche Daten und Beschreibung
Die Wohnanlage umfasste nach ihrer Fertigstellung 1983 bei einer Geschossfläche von 13.400 m² 84 Wohnungen. Bauherr des Ensembles war Arthur Pfaff. Die Finanzierung erfolge im Sozialen Mietwohnungsbau (1. Förderungsweg) und zu einem Drittel im steuerbegünstigter Mietwohnungsbau (2. Förderungsweg). Die Gesamterstellungskosten beliefen sich auf 21,6 Mio DM.[6]

Häuser Lützowplatz 2 und 4, Hauseingänge, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Lützowplatz 2 und 4, Hauseingänge, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Bauzeitlich bestand die symmetrisch aufgebaute Wohnanlage aus einem 6-geschossigen Wohnblock als Riegel am Lützowplatz (Lützowplatz 2–18 gerade), zwei 5-geschossigen Stadtvillen an den Seitenstraßen (Wichmannstraße 1 und Lützowufer 20), zwei anschließenden 5-geschossigen Wohnhäusern als Blockrandbebauung (Wichmannstraße 3 und Lützowufer 23) und drei 4-geschossigen freistehenden Stadtvillen mit Satteldach im Innenbereich (Wichmannstraße 2, Lützowufer 21 und 22). Die mit einem Flachdach versehenen Häuser Wichmannstraße 1 und 3 sowie Lützowufer 20 und 23 bildeten jeweils einen kurzen Block. Mauern mit einer mittig angeordneten Toröffnung verbanden die Blöcke in den Seitenstraßen mit dem Wohnriegel am Lützowplatz.

Die Bebauung an der Wichmannstraße erfolgte in der Bauflucht der Straße. Am Lützowufer stand nur das Haus Lützowufer 23 in der Bauflucht. Das Haus Lützowufer 20 befand sich um wenige Meter von der Bauflucht zurückgesetzt, um mit den Giebel des Wohnriegels am Lützowplatz auf einer Höhe einen Abschluss zu bilden. Dadurch entstand mit der schräg verlaufenden Straße entlang des Landwehrkanals eine Art Vorgarten. In den Häusern Wichmannstraße 3 und Lützowufer lagen die Tordurchfahrten zur Erschließung der Stadtvillen im Innenbereich. Die Stadtvillen standen den Häusern Lützowplatz 2, 6, 10, 14 und 18 jeweils spiegelbildlich gegenüber. Die Dächer der drei freistehenden Stadtvillen (Wichmannstraße 2, Lützowufer 21 und 22) korrespondierten mit den Satteldächern des Wohnriegels. Den Häusern waren zum Innenhof durch Balkonanbauten terrassenförmig abgestuft. Zwischen dem Wohnriegel und den Stadtvillen befand sich ein allgemein genutzter wellenförmig geschwungener Erschließungsweg. Die Stadtvillen untereinander trennten quadratisch angelegte Spielplätze und kleine Gartenanlagen.

Häuser Lützowplatz 8–14, Straßenansicht Sockelgeschosse, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Lützowplatz 8–14, Straßenansicht Sockelgeschosse, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Nach dem Teilabriss besteht die Wohnanlage gegenwärtig aus dem Wohnriegel am Lützowplatz, dem Wohnblock Wichmannstraße 1 und 3 und einer Mauer, die Wohnriegel und Wohnblock verbinden. Der Baukörper des Wohnriegels besteht aus einem 2-geschossigen verklinkerten Sockel und einem hell verputzten Aufbau ab dem 2. Obergeschoss. Beide Bereiche sind versetzt aufeinandergelegt. Auf der Erschließungsseite (Straßenseite) ist der Sockel um ca. 3 Meter von der Flucht des Aufbaus eingerückt, auf der Hofseite rückt der Sockel um ca. 3 aus der Flucht des Aufbaus heraus. Das Treppenhaus auf der Erschließungsseite befindet sich in der Flucht des Aufbaus und wird durch die geschossübergreifenden stehenden Fensterbänder optisch zusammengehalten. Im Sockelbereich ergeben sich so großzügige überdachte  Hauseingangsreiche. Nach diesem Prinzip waren auch die inzwischen abgetragenen Stadtvillen aufgebaut. Der flachgedeckte Wohnriegel mit den aus dem Baukörper ausgeschnittenen Dachterrassen ist mittig mit drei Satteldachaufbauten versehen. Deren Giebel symbolisieren Einzelhäuser und korrespondieren mit der gegenüberliegenden Platzbebauung. Die Straßenfassade schließt ohne Dachüberstand mit Ausnahme der drei aufgesetzten Giebel mit einer durchgehenden Dachkante ab. Bis auf die liegenden Fensterbänder im 1. Obergeschoss sitzen sämtliche als Quadrate gestaltete Öffnungen in einem orthogonalen Raster in der Straßenfassade.

Häuser Lützowplatz 8–14, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Lützowplatz 8–14, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden

Auf der Hofseite des Wohnriegels sind dem Baukörper in aufeinanderfolgenden Abschnitten knapp drei Geschosse hohe verklinkerte Mauern vorgestellt, die große Terrassen im 2. Obergeschoss tragen. Diese Konstruktion erstreckt sich über die gesamte Länge des Wohnriegels und lässt diesen terrassenförmig abgestuft erscheinen. Ab dem 4. Obergeschoss sind dem Baukörper große Dachterrassen ausgeschnitten, so dass sich der Block im mittleren Abschnitt visuell in drei aufgesetzte Einzelhäuser mit Satteldach auflöst. Im Erdgeschoss befinden sich bis zum Boden reichende verglaste Terrassentüren. Im 1. Obergeschoss folgte eine eng gestellte Reihe quadratischer Fensteröffnungen. Das 2. Obergeschoss verfügt analog dem Erdgeschoss über Terrassentüren. Die weiteren Öffnungen ab dem 3. Obergeschoss sind wie auf der Straßenseite als Quadrate gestaltet.

Häuser Wichmannstraße 1 und 3, Straßenansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Wichmannstraße 1 und 3, Straßenansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Die Wohnungen im Wohnblock Lützowplatz 2–18 sind überwiegend als Maisonette ausgeführt und besitzen reihenhausähnliche Grundrisse. Sie haben eine Nutzfläche von ca. 80 bis 110 m². Die Nebenräume wie Küchen sind zum Platz hin ausgerichtet, während das Wohnzimmer und weitere Wohnräume sich zum ruhigen Hof hin orientieren. Die Wohnungen im 2-geschossigen Sockel verfügten bauzeitlich ebenerdig über eine Terrasse mit anschließenden kleinen Privatgarten. Die Wohnungen im 2. und 3 Obergeschoss besitzen vorgelagerte Terrassen, während die Wohnungen in den obersten Geschossen großzügige Dachterrassen nutzen können.

Häuser Wichmannstraße 1 und 3, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Wichmannstraße 1 und 3, Hofansicht, Zustand März 2012; Foto: Dirk Kaden

Der 5-geschossige Wohnblock in der Wichmannstraße, besteht aus der Stadtvilla Wichmannstraße 1 und dem Anschlussbau Wichmannstraße 3. Der Sockel des Blocks ist auf der Straßenseite und zum Innenbereich ca. 4 Meter hoch verklinkert. Darüber folgen hell verputze Fassaden. Die Stadtvilla und der Anschlussbau sind um eine halbes Geschoss versetzt aneinandergefügt und schließen mit einer durchgehenden Dachkante ohne Überstand ab. Die Fassadenöffnungen für Fenster, Dachterrassen und Austritte haben eine identische quadratische Form und Größe. Die Stadtvilla mit ihrer terrassenförmigen Abstufung steht dem Haus Lützowplatz 18 spiegelbildlich gegenüber. Auch hier tragen knapp drei Geschosse hohe verklinkerte Mauern große Terrassen im 2. Obergeschoss.

Planungs- und Baugeschichte
Der ausgeführte Entwurf unterscheidet sich vom um 1978 geplanten Entwurf. In der Planung sollte die Wohnanlage aus einem Riegel und Anschlussbauten sowie 4 Stadtvillen im Innenbereich bestehen. Die Baukörper sollten durchgehend mit Klinker verkleidet und mit flachen Walmdächern bzw. Pultdächern versehen werden. Die Fassaden waren sehr spannungsreich im Wechsel der Fenstergrößen und in der Anordnung gestaltet. Der Wohnriegel am Lützowplatz sollte im Sockelbereich einen durchgehenden halböffentlichen Weg als langer überdachter Eingang hinter einer Steinmauer erhalten. Die Terrassen im Hofbereich waren mehr abgestuft. Dieser geplante Entwurf kam nicht zur Ausführung, da die Kostenaufstellung für einen Bau mit Sozialwohnungen zu hoch war.

Der ab 1979 ausgeführte Entwurf verfügte im Innenbereich um nur noch 3 Stadtvillen. Statt alle Außenwände mit einer Ziegelfassade auszuführen, war nur die Verklinkerung für den Sockelbereich vorgesehen, während die darüber befindlichen Geschosse hell verputzt werden sollten. Statt der Pultdächer waren nun vorstädtisch anmutende Giebeldächer vorgesehen. Die Fassaden wiesen eine einheitliche quadratische Durchfensterung auf.

In der Ausführung wurde die Wohnanlage weiteren Veränderungen unterzogen. Gegen den Willen des Architekten nahm der Bauherr Einschränkungen vor. Die Terrassenbegrenzung und die Gartengestaltung im Innenbereich der Wohnanlage wurden nur vereinfach ausgeführt. Statt die Putzflächen weiß zu streichen, sind diese grau belassen worden. Im Dezember 1983 wurde die Wohnanlage fertiggestellt.

Bauschicksal
Nach der Fertigstellung der Wohnanlage, die sich aus 56 Wohnung des Sozialen und 28 Wohnung im steuerbegünstigten Mietwohnungsbau zusammensetzt, zeigte sich bei den Bewohnern eine große Wohnzufriedenheit. 1998 wurde die Wohnanlage von Arthur Pfaff zwangsversteigert. Den Zuschlag erhielt die DIBAG Industriebau AG München, die das Erbbaurecht erwarb. 2001 kaufte die DIBAG das Grundstück vom Land Berlin und kündigte den Abriss der Wohnanlage an, um auf den frei werdenden Areal ein Büro- und Wohnkomplex neu zu errichten. In den folgenden Jahren unterblieben durch die DIBAG die Beseitigung von Mängeln und die Neuvermietung frei gewordener Wohnungen. Die Wohnanlage verwahrloste.

Der Abrissantrag wurde von den Genehmigungsbehörden zunächst abgelehnt, so dass die DIBAG den Rechtsweg suchte. Auf Grundlage gutachterlich festgestellter Baumängel kam aus Sicht der DIBAG aus wirtschaftlichen Gründen nur der Abriss und eine anschließende Neubebauung in Betracht. 2005 folgte das Berliner Landgericht der Argumentation der DIBAG, dass eine Sanierung der Wohnanlage unwirtschaftlich sei. Folglich war der Weg zum Abriss der Wohnanlage frei. Den verbliebenen Mietern wurden die Verträge gekündigt. Ebenfalls 2005 führte der Bauherr ein konkurrierendes Gutachterverfahren zur Neubebauung durch, das von dem Büro Modersohn & Freiesleben gewonnen und zur Realisierung bestimmt wurde. In der Folgezeit ist ein Bebauungsplanverfahren durchgeführt worden. In den Jahren 2008/09 erfolgten der Abriss der Häuser Lützowufer 20, 21, 22, 23 und Wichmannstraße 2 sowie die Beseitigung der Hofanlagen. Gegenwärtig stehen der verbliebene Wohnriegel am Lützowplatz und der Anschlussbau in der Wichmannstraße komplett leer. Die Wohnanlage ist mit einem Bauzaun abgesperrt.

Der Architekt
Der deutsche Architekt und Architekturtheoretiker Oswald Mathias Ungers wurde am 12. Juli 1926 in Kaisersesch in der Eifel geboren und verstarb am 30. September 2007 in Köln.

Neben dem Entwurf für die Wohnanlage am Westrand des Lützowplatzes ist als weiteres IBA-Projekt von Ungers die Wohnbebauung Köthener/Bernburger Straße in Berlin-Kreuzberg zu nennen. In den 1980er Jahren zeugen das Mehrfamilienhaus Schillerstraße in Charlottenburg und das Abwasserpumpwerk in Alt-Moabit in Berlin vom Schaffen des Architekten. In diesen Zeitraum war Ungers aber auch mit Großbauten wie das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt a.M. (1979–84), das Torhaus auf dem Messegelände in Frankfurt a.M. (1980–83) und das Hauptgebäude des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven entwerfend tätig. Ungers entwarf in den 1990er Jahren in Berlin das Familiengericht in Kreuzberg (1993–95), die Friedrichstadt-Passagen (Quartier 205, 1993–96) und die Erweiterungsbauten des Messegeländes am Funkturm in Charlottenburg (1993–99). Letzte Großprojekte des Architekten waren die Residenz des deutschen Botschafters in den USA in Washington, D.C. (1994), der Erweiterungsbau „Galerie der Gegenwart“ für die Hamburger Kunsthalle (1997) und das Wallraf-Richartz-Museum (2001) in Köln.

Erhaltungszustand und Bewertung
Die Wohnanlage ist in ihrer Baustruktur und im Erscheinungsbild durch den 2008 erfolgten Abriss der Häuser Lützowufer 20–23 und Wichmannstraße 2 deutlich verändert worden. Die Häuser Lützowplatz 2–18 (gerade) und Wichmannstraße 1 und 3 zeigen Spuren einer unterbliebenen Instandhaltung und Verwahrlosung. Die erhalten am Lützowplatz und der Wichmannstraße vermitteln den ehemaligen bauzeitlichen Zustand, wobei die Gebäudeabrisse als Veränderungen deutlich sind.

Wohnbebauung am Westrand des Lützowplatzes, Zentraler Grünraum mit Erschließungsweg, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Wohnbebauung am Westrand des Lützowplatzes, Zentraler Grünraum mit Erschließungsweg, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Die Wohnanlage entstand 1979–83 in einer Zeit einer stagnierenden wirtschaftlichen Entwicklung von West-Berlin. Die Teilstadt war von Subventionen der Bundesrepublik Deutschland abhängig. Die Errichtung der in sich geschlossen Wohnanlage beruhte auf den von Architekten um Oswald Mathias Ungers 1977/78 entwickelte Konzept der „Die Stadt in der Stadt. Berlin das Grüne Stadtarchipel“. Die baulichen Konzepten der „Stadt in der Stadt“ waren eine Reaktion auf die analysierte Situation West-Berlins zu Ende der 1970er Jahre. Die Wohnanlage ist eine konkrete und beispielhafte Umsetzung des Konzepts der „Stadt in der Stadt“.

Gleichzeitig stellte die Wohnanlage als realisierter innerstädtischer sozialer Wohnungsbau ein wichtiges Zeugnis der Wohnungsbaupolitik Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre dar. Der Bau der Wohnanlage nach dem Prinzip der „Stadt in der Stadt“ stellt gewissermaßen einen Antithese zu der von der IBA87 für den Neubauteil vertretenen Position der Stadtreparatur und der Stadtrekonstruktion dar. Dennoch nahm die IBA die Wohnanlage als .bespielgebende Lösung in ihre Programmatik auf. Dies kann als eine Besonderheit der Internationalen Bauausstellung Berlin 1987 gelten.

Häuser Lützowplatz 6–14, Hofansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Häuser Lützowplatz 6–14, Hofansicht, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Die Wohnanlage steht am vom Verkehr dominierten Lützowplatz. In realistischer und pragmatischer Anerkennung der städtebaulichen Ausgangssituation, eine Wohnanlage an einem Verkehrsknotenpunkt zu entwerfen, gelang es Oswald Mathias Ungers, diesen Nachteil in eine besondere Qualität des Wohnens umzuwandeln. Die Häuser in ihrer baulichen Gestaltung und Organisation des Grundrisses wenden sich vom Lützowplatz ab und öffnen sich zum Innenraum. In Anwendung dieses Prinzips steht Ungers in der Tradition des Wohnungsbaus der 1920er Jahre von Bruno Taut. Die 1929/30 von Taut und Hillinger in Berlin entworfene Wohnstadt Carl Legien steht exemplarisch für das Prinzip des Abschlusses nach außen und Öffnung nach innen.

Der Wohnriegel am Lützowplatz schließt die westliche Kante des Lützowplatzes. Auch wenn sich die Vorplanung von der Ausführungsplanung deutlich unterschied, war sich der Architekt der Definition des Raumabschlusses des Lützowplatz treu geblieben. Die veränderte Ausführungsplanung brachte neue städtebauliche Qualitäten mit sich.

Mauer zwischen Wohnblock Lützowplatz und abgerissener Bebauung am Lützowufer, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden
Mauer zwischen Wohnblock Lützowplatz und abgerissener Bebauung am Lützowufer, Zustand Oktober 2012; Foto: Dirk Kaden

Der Architekt Oswald Mathias Ungers galt in den 1980er Jahren als Pionier der Postmoderne und des Rationalismus. Seine Bauten zeichnen sich durch strenge geometrische Gestaltungsraster aus. Hierzu setzte er elementare geometrische Formen wie Quadrat, Kreis, Würfel und Kugel ein, die er in seinen Entwürfen und Bauten auf die Baukörpergestaltung und Fassaden übertrug. Dieser einmal gewählten Formensprache blieb sich der Architekt treu. Die von Oswald Mathias Ungers geschaffene Wohnanlage am Lützowplatz vereint die Entwurfsgrundsätze und steht exemplarisch für das Werk des Architekten und seinem Verständnis von Städtebau und Architektur.

Endnoten

[1] ↑ Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht, S. 48 f.
[2] ↑ ebd., S. 48.
[3] ↑ Die Stadt in der Stadt. Berlin das Grüne Stadtarchipel.
[4] ↑ B Rep. 168, Nr. 1318.
[5] ↑ Learning from IBA – die IBA 1987 in Berlin, S. 74 ff.
[6] ↑ Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht, S. 48.

Quellen

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