• Lage: Köthener Straße 35–37, Bernburger Straße 16/18, 10963 Berlin-Kreuzberg
• Bauzeit: 1988–89
• Architekt: Oswald Mathias Ungers, Köln
• Gartengestaltung: Cornelia Müller, Jan Wehberg, Elmar Knippschild, Berlin
• Bauherr: BOTAG, Berlin (im Erbbaurecht des Landes Berlin (durch Bauherrenwettbewerb ermittelt), Gartenbauamt Kreuzberg (Kinderspielplatz)
Städtebauliche Ausgangssituation unmittelbar vor den IBA-Planungen
In der Zeit der Reichsgründung 1871 bis zur Jahrhundertwende war die städtebauliche Situation der südlichen Friedrichstadt geprägt durch Wohnbebauung, die ab 1900 zunehmend durch Dienstleistungs-, Verwaltungs- und Kulturbauten sowie Industriebauten ersetzt wurde. Das Stadtbild der Wohn- und Gewerbeblöcke wurde eingerahmt von zwei Gleisanlagen mit den Bahnhofsgebäuden des Anhalter Bahnhofs und des Potsdamer Güterbahnhofs und im Süden von der Schöneberger Hafenanlage.
Die Bebauung zwischen Anhalter Bahnhof und Potsdamer Güterbahnhof blieb bis Ende des zweiten Weltkrieges weitgehend unverändert, in dem die südliche Friedrichstadt zum größten Teil zerstört wurde und nur wenige Gebäude in Teilen stehen blieben. Das Grundstück Bernburger Straße 16/18, Köthener Straße 35–37 war aufgrund der starken Zerstörung bis auf wenige Restteile geräumt worden.
Erhalten blieb bis zur Bebauung 1988 ein brachliegendes Grundstück.
In der Nachkriegszeit war eine Verkehrsplanung vorgesehen, die stark in die städtebaulichen Strukturen dieser Gegend um den Anhalter Bahnhof eingegriffen hätte. Geplante Autobahntrassen sollten Wohngebiete durchschneiden. Die Kochstraße sollte als Zubringer zur Tangente gradlinig durch das Wohngebiet zwischen Anhalter Bahnhof und dem Gelände des ehemaligen Potsdamer Güterbahnhofs ausgebaut werden. Diese Planung wurde Ende der 80er Jahre aufgegeben, „weil sie wesentliche Plätze, historische Straßenzüge, stadtzerstört hätte“[Abgeordnetenhaus von Berlin, Plenarprotokoll 7/101 14. 12. 78, Ristock]. Vorausgegangen waren Proteste von Bürgerinitiativen gegen den Bau der Tangenten. Für das Brachland mit singulären Neubauten entstanden neue städtebauliche Überlegungen, die dem Gebiet der südlichen Friedrichstadt eine klare Struktur geben sollten.
Planungsgeschichte und Demonstrationsziel
Aufgrund der Beseitigung rekonstruktionswürdiger Bauten und vereinzelter Neubauten der 60/70er Jahre, sind Empfehlungen formuliert worden, die fordern “die Reste des historischen Stadtgrundrisses, nämlich die geographische und räumliche Ausprägung des Gebietes als Grundlagen für die Organisation und Gestaltung der künftigen Friedrichstadt zu nutzen“[Internationaler engerer Wettbewerb, Berlin Südl. Friedrichstadt, Mai 1981, Vorbemerkungen, S.13]. Im Rahmen der Planungen der Internationalen Bauausstellung Berlin 1984/87 wurde das Grundstück Bernburger Straße16/18, Köthener Straße 35–37 als IBA Neubauprojekt ausgeschrieben. Das Blockkonzept von Müller/Ungers/Faskel von 1982 [vgl. LA B Rep.168, 1407], das auf der Studie von Ungers zur Friedrichvorstadt (1981) basiert, schlägt für den Block 1 einen aus Einzelblöcken zusammengesetzten Gesamtblock vor. Das Blockkonzept will das bestehende Gewerbe an diesem Ort mit innerstädtischem Wohnen verbinden.
Wohnbauten sollen am Westrand des Blocks Köthener Straße und am Südrand Bernburger Straße entstehen. Ein Spielplatz ist an der Bernburger Straße vorgesehen, um durch die Situation einer verkehrsberuhigten Bernburger Straße auch Kindern der südlich gelegenen Blöcke die Möglichkeit der Nutzung zu gewähren.
Eine Zonierung soll die öffentliche Durchquerung von Ost nach West wie auch von Nord nach Süd ermöglichen, die in der Grundrissplanung des Gebäudes auf diesem Grundstück Rechnung tragen wird. Die planungsrechtliche Situation weist im Baunutzungsplan 1961 den gesamten Block als Kerngebiet der Stufe V/3, 5 Gesch., GRZ 0,3, GFZ 1,5 aus. Im 11. Änderungsplan zum FNP wird ein Spielplatz an der Bernburger Straße vorgesehen [vgl. LA B Rep.168, 1407]. Aus einer gutachterlichen Stellungnahme [vgl. LA B Rep. 168, 1408] zum Bauvorhaben Grundstück Bernburger Straße 17/15–16, Köthener Straße 35–37 geht hervor, dass zu dem Zeitpunkt die Bernburger Straße als stark befahrene Straße eingestuft wird. Es wurde empfohlen, großzügige Öffnungen nach allen vier Seiten des geplanten Gebäudes zur Ermöglichung eines ständigen Luftaustausches einzuplanen.
Am 5.12.1985 wird das IBA Neubauprojekt Bernburger Straße 16/18, Köthener Straße 35–37 ausgeschrieben. Auslober ist die Bauausstellung Berlin GmbH. Darin wird für die Gestaltung der Außenanlagen zwingend festgeschrieben, dass eine weitgehende Begrünung der Hoffassade und der Fassaden an den Durchbrüchen, eine maximal intensive Bepflanzung des Innenhofes, eine Bepflanzung eines möglichst großen Baumes im Innenhof und die Begrünung der Dachflächen (teils von Mietern bewirtschaftet, teils vom Bauherrn) in der Planung zu berücksichtigen sind.[vgl. LA B Rep.168, 1407] Die Demonstrationsziele sind die Wiederherstellung des Blockrandes entlang der Bernburger und Köthener Straße die Neuformulierung der Stadtkante am westlichen Eingang zur Friedrichstadt durch ein Torhaus. Verschiedene Wohntypen (Einfamilienhäuser/Geschoßwohnungen/Dachwohnungen) in einem Wohnblock: Block im Block, Haus im Haus sollen in der Planung mit integriert werden. Eine Minderung der Umwelteinflüsse soll durch ökologische Maßnahmen, wie z.B. Dach- und Fassadenbegrünung, vorgelagerte Grünzone zur Abschirmung entlang der Bernburger Straße, Wintergärten und Schallschutzverglasung bewirkt werden.
Dichte Block in Block- Bauformen mit halböffentlichen bis privaten Innenhöfen und Verfügungsräumen, und auch ein erhöhter Anteil von Großwohnungen sind in den Demonstrationszielen vorgesehen.[vgl. LA B Rep.168, 1425] Das Baugrundstück stellt sich in seiner städtebaulichen Situation zur Zeit der IBA Planungen als Eckgrundstück dar. Es ist im Norden durch einen freistehenden Brandgiebel eines fünfgeschossigen Gebäudes, im Osten durch den geplanten Kinderspielplatz und im Süden durch die Grünzone begrenzt.
Städtebauliche und architektonische Lösung zur Erreichung des Demonstrationsziels
Der für das Bauvorhaben von der IBA vorgeschlagene Architekt Oswald Mathias Ungers setzt in seinem Entwurf diese Ziele durch. Es entsteht die Planung eines fünfgeschossigen Mietshauses mit Flachdach und Dachterrassen als freistehender Wohnblock mit zurückgesetztem Dachgeschoß in Blockbauweise mit Innenhof, der teilunterkellert ist. Die Gebäudehöhe ist der Traufhöhe und der Sockelhöhe des Gebäudes Bernburger/Dessauer Straße angepasst. Das Gebäude besteht aus acht viergeschossigen Einzelhäusern, die durch die oberen Ebenen als eine Art Attika zu einem Block zusammengefasst sind. Die Einzelhäuser sollen durch die Planungsmaßnahmen ihre eigene Identität, wie Einfamilienhäuser erhalten. Die Eckhäuser nehmen die Treppenhäuser und die Aufzüge auf.
Die Verbindung zu den Mittelhäusern wird durch verglaste, wintergartenartige Brücken ermöglicht, die den jeweiligen Maisonettewohnungen zugeordnet sind. Das Untergeschoß wird als Sockelgeschoß ausgeführt, mit einer Ein- und Ausfahrt zur Tiefgarage. Die äußere Erscheinung des Baus ist eine streng geordnete Fassade, die mit einer Ziegelverkleidung (Hartbrandziegel) versehen ist. Das Gebäude umfasst 44 familiengerechte Wohnungen, die sowohl als Maisonettewohnungen als auch als Geschoßwohnungen erstellt wurden.[vgl. LA B Rep.168, 1408] Um das Demonstrationsziel der Schaffung eines differenzierten Freiraumkonzeptes mit öffentlichen, halböffentlichen und privaten Grünflächen und einer dadurch erreichbaren Blockdurchwegung und der Block-in-Block-Bauweise zu erreichen, waren Abweichungen vom Bebauungsplan Nr. VI-A vom 9.7. 1971 nötig. Die GFZ konnte geringfügig überschritten werden, die Errichtung eines Gebäudes mit seitlichem Grenzabstand im Gebiet der geschlossenen Bauweise und ein Zurücktreten hinter die festgesetzte Baulinie wurden dadurch ermöglicht.[vgl. LA B Rep.168, 1416] Die Blockrandbebauung entlang der Bernburger und der Köthener Straße ist mit dem Wohngebäude von O.M.Ungers wiederhergestellt, allerdings nicht in geschlossener Bauweise, wie in historischer Struktur.
Durch die Schaffung der öffentlichen Durchquerung, des Block im Block-Konzepts mit halböffentlichen bis privaten Innenhöfen und Verfügungsräumen und vorgelagerten Grünzonen, wie auch in den Demonstrationszielen gefordert ist, wird eine Neuformulierung des Blockrandes erreicht und die Schließung der Ecksituation Köthener Straße/Bernburger Straße im Straßenbild erzielt.
Heutiger Bauzustand
Im heutigen Bauzustand sind im äußeren Erscheinungsbild keine Veränderungen zu erkennen. Die eigentlich angedachte städtebauliche Situation, bei der das Gebäude Bernburger Straße 16/18, Köthener Straße 35–37 als westlicher Eingang zur südlichen Friedrichstadt diente, war der damals noch stehenden Berliner Mauer geschuldet. Die Situation änderte sich nach 1989 durch den Fall der Mauer und der Bebauung des Potsdamer Platzes mit der angrenzenden Bebauung an der Köthener Straße. Die Bedeutung als Torbau zur südlichen Friedrichstadt wurde dadurch aufgehoben und das Gebäude rückte optisch in die Straßenflucht Köthener und Bernburger Straße.
Die Öffnung durch die vierseitigen, torähnlichen Öffnungen in der Fassade lassen eine Leichtigkeit in der sonst streng geordneten Fassade entstehen. Die Begrünung, die in den Demonstrationszielen angedacht war, ist nur teilweise erkennbar. Der Baum im Innenhof ist die einzige grüne Sichtachse, die im Innenbereich erkennbar ist. Die Toröffnungen sind mit Efeu partiell berankt, was allerdings nur teilweise einer intensiven Begrünungskonzeption entspricht. Die vorgelagerte Grünzone zur Abschirmung entlang der Bernburger Straße ist vorhanden und trägt straßensichtig zu einer begrünten Ansicht bei. Der angeschlossene Kinderspielplatz in der Bernburger Straße 13–15 verbindet im Durchwegungsnetz der Grünachse Block 1 mit Block 6, eine Umsetzung der Empfehlungen des Blockkonzepts von Müller/Ungers/Faskel von 1982. Er ist von Kindern beider Blöcke nutzbar.
Künstlerische Bedeutung:
Die Axonometrie der Ansicht mit ihrer streng aufgeteilten Fensteranordnung in quadratischer Gitterstruktur und der Kubus als Baukörper sind Beispiele für die Gestaltungsprinzipien von O.M.Ungers. Seine Gedanken der Abstraktion der gestalterischen Mittel bis hin zur konstruktiven Verwirklichung sind an der Fassade des Gebäudes klar wiederzuerkennen.[vgl. “Das Konkrete und die Architektur“, 14. Jg., Heft 1, Oktober 2009, Matthias Noell] Die Ansichten sind minimalistisch in den Gestaltungsmitteln, das Mauerwerk ist im konstruktiven Raster durch Fensteröffnungen mit weißen Fensterkreuzen durchsetzt. Wiederkehrend ist der Kubus als pures Element der Architektur, in ihm das Quadrat und das Rechteck als Struktur.
Literatur und Quellen:
• Landesarchiv Berlin , IBA-Archiv, Block 1: Nr.705, 1407 bis 1416, 1617 bis 1621.
• Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin, Amt für Stadtplanung, Vermessung und Bauaufsicht, Bauaktenkammer Bereich Friedrichshain-Kreuzberg, Bauakten zum Grundstück Köthener Straße 35–37,Bernburger Straße 16/18.
• Internationaler engerer Wettbewerb, Berlin Südl. Friedrichstadt, Mai 1981, Vorbemerkungen.
• www.collections.europeanalocal.de (Abgeordnetenhaus von Berlin ,Plenarprotokoll 7/ 101 14. 12. 78, Ristock).
• www.deu.archinform.net/12.08.11
• Internationale Bauausstellung Berlin 1987 – Projektübersicht.
• Das Konkrete und die Architektur,14. Jg., Heft 1, Oktober 2009, Matthias Noell