• Lage: Am Tegeler Hafen, Berlin-Tegel
• Architekten: John Hejduk, Kontaktarchitekt Moritz Müller
Begegnet man den Werken des US-amerikanischen Architekten John Hejduk (1929–2000) für die IBA, dem Torhaus in der Friedrichstraße, der Wohnbebauung mit Atelierturm in der Charlottenstraße und dem kleinen, aber international beachteten Mehrfamilienhaus in Tegel, wird der Eindruck spürbar, den das Westberlin der Achtzigerjahre auf den Architekten aus den USA wohl ausgeübt haben mochte. Hejduk, der Poet der US-amerikanischen Architektur und einflussreicher Hochschullehrer, der Inspiration in Rilkes Gedichten und im „Himmel Berlins“ fand, berichtet später von der „kristallklaren Luft, in der vom Wasser umgebenen Stadt“ und dass Berlin für ihn, den Architekten aus Brooklyn, NY, so viele Möglichkeiten eröffnet hätte, seine Ideen umzusetzen.[1] Spürbar bleibt in seinen Bauten aber auch die tiefe Faszination über den einzigartigen Genius Loci in der geschichtlich belasteten, zerstörten und geteilten Stadt.
Planungsziel der IBA in Tegel war die städtebauliche und architektonische Neuordnung des Tegeler Hafenbeckens und dessen Erschließung für Wohnungsbau wie für kulturelle Nutzungen anstelle einer rein gewerblichen Nutzung. Den IBA-Wettbewerb „Tegel“ gewann 1980 das Architekturbüro Moor/Ruble/Yudell aus St. Monica, USA, mit einer naturnahen städtebaulichen Figur aus einer langen geschwungenen Hauszeile und einer Kette von „Stadtvillen“ genannten Einzelhäusern, die sich in einem am Wasser gelegenen Grünraum durchschlängelten und punktförmig aufreihten. Die einzeln oder paarweise platzierten Villen sollten Raumecken der Anlage und Zugänge zu Erschließungswegen und zur Promenade am Hafenbecken markieren. Eine in der Umsetzung nicht ausgeführte Kultur- und Freizeiteinrichtung am Ufer sowie auf einer vorgelagerten Insel sollte das verbindende Zentrum des neuen, landschaftlichen Quartiers am Wasser bilden.[2]
John Hejduks Mitwirkung ging auf seinen „Berlin Masque“ genannten Beitrag für den IBA-Wettbewerb „Wilhelmstraße“ aus dem Jahre 1980 zurück. Hejduk setzte zwischen die eingefriedeten Blockfragmente des zerstörten Stadtareals 28 „Masken“ genannte Kleinbauten. Diese erinnerten an die follies (engl. Narreteien), die unnützen und effektvoll bizarren Zierbauten der historischen Gartenarchitektur. Hejduk erhielt einen Sonderpreis und als Folgeauftrag 1982 drei Bauplätze der Bauausstellung, unter ihnen das kleine Projekt für Tegel.[3] In Zusammenarbeit mit dem Westberliner Kontaktarchitekten Moritz Müller entstand bis Ende 1987 John Hejduks Mehrfamilienhaus als eine der „Stadtvillen“ im Tegel-Ensemble.
Hejduks zweigeschossiges Doppelhaus nimmt die städtebauliche Vorgabe eines 16 auf 16 Meter großen Kubus auf und zerlegt den Grundriss kreuzförmig. Ein von zwei Seiten mittig aufsteigender, das Obergeschoß erschließender Treppenlauf teilt die Gesamtfigur in zwei giebelständige Einzelbaukörper, die jeweils ein steiles, ausgebautes Satteldach tragen. Auf diese Weise erhält Hejduk insgesamt acht Wohnungen. Die hellgraue Putzfassade mit grün gestrichenen, quadratischen Fenstern tragen an der Ost- und Westseite Balkone. Die zinkblechgedeckten Dächer besitzen weit abstehende Aufbauten zur Belichtung und Belüftung der Dachgeschosse. Die Dachkanten sind mit Metallstiften und Metallsternen verziert. Prägnantestes architektonisches Element ist ein ins Zentrum gesetzter grüner Aussichtsturm mit einer inneren Wendeltreppe.
Hejduk erzielt mit den axialsymmetrisch geordneten Kombinationen der archetypisch anmutenden Figuren sowie den konstruktivistischen Fügungen der Details ein verstörend unwohnliches Bild. Sie wecken bei dem Betrachter Erinnerungen und Assoziationen an das „deutsche Wohnhaus“ der Heimatschutzbewegung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und an Überwachungstürme – und vielleicht auch an Kanonenläufe und schützend abstehende Dornen. „Im Unterleib“ verbunden, oben jedoch getrennt und mit einem Wachturm versehen steht das Häuserpaar wie ein siamesischer Zwillingspaar da – hier trifft die „deutsche Wohnidylle im Grünen“ auf die deutsch-deutsche Realität des brutalen Mauerstreifens.
Auszug aus: Salgo, Andreas: „Schlüsselprojekte der Neubau-IBA“ in: Bodenschatz, Lampugnani, Sonne (Hg.): „25 Jahre Internationale Bauausstellung Berlin 1987“, Niggli, 2012
[1] ↑ David Shapiro, „Conversation with John Hejduk. The Architect Who Drew Angels“, in: Architecture and Urbanism, Januar 1991, S. 59–65.
[2] ↑ Bauausstellung Berlin GmbH (Hrsg.), Internationale Bauausstellung Berlin 1984, Die Neubaugebiete, Dokumente – Projekte, Band 2, Berlin 1981, S. 134.
[3] ↑ Gesprächsprotokoll Kleihues/Hejduk vom 19.05.1982, in: Landesarchiv Berlin B Rep 168 Akten, Lfd. Nr. 1542.