• Lage: Friedrichstraße 234, Berlin-Kreuzberg Ortsteil Südliche Friedrichstadt
• Bauzeit: 1990–91
• Architekten: John Hejduk, Kontaktarchitekt Moritz Müller
• Öffentlich geförderter sozialer Wohnungsbau, Blockreparatur Block 20
• Bauherr: Berliner Eigenheimbau GmbH
Allgemeine Zuordnung
Das Objekt ist ein Neubauprojekt der Internationalen Bauausstellung Berlin 87 (IBA 87) im Demonstrationsgebiet Südliche Friedrichstadt. Teil der städtebaulichen Neuordnung von Block 20, zur Reduktion der Blockgröße und Schaffung einer Nutzungsmischung im Blockinneren (Kindergarten u.a.). Städtebaulich akzentuiert das „Torhaus“ als „situationsspezifischer Bautyp“ den Übergang vom Stadtraum in den Blickinnenraum mit der öffentlichen Durchwegung im Block 20. Es besitzt mit dem Atriumhaus Wilhelmstraße 13/14 sein westliches Pendant.
Die Städtebauliche Ausgangssituation vor den IBA-Planungen
Der Block 20, begrenzt von Hedemannstraße, Friedrichstraße, Franz-Klühs-Straße und Wilhelmstraße war Teil eines Areals entlang der Wilhelmstraße, der im 3 Reich geprägt war von Bauten für Staat und Partei und daher einen besonderen Angriffsziel im Weltkrieg II darstellte und die typischen Brachen und Blockfragmente hinterließ. Mit der für eine Stadtautobahn vorgesehen Schneise im Flächennutzugsplan von 1965 sollte dieser Block dem Straßenraum vollständig weichen.
Ab der Senatsvorlage von 1978 für die Internationale Bauausstellung Berlin ´84 wird die Südliche Friedrichstadt als „Herz“ der Bauausstellung bezeichnet. Insbesondere die architektonische Ausbildung und Wiederherstellung der historischen Straßenverläufe wurde zum Ziel erklärt.
Die Wilhelmstraße wurde innerhalb dieser Zielsetzung als ein für die Grundstruktur der Südlichen Friedrichstadt wichtiger Straßenverlauf und als historisch bedeutend gewertet. Der Block 20 galt hierbei als authentischer Überbleibsel des großmaschigen Straßenrasters der barocken Planung.
Die städtebauliche Aufgabe/Demonstrationsziele der Bauausstellung
Ziel des Wettbewerbsverfahrens „Wilhelmstraße“ war es, für die an der Wilhelmstraße gelegenen Blöcke detaillierte Bebauungspläne und Wohnkonzepte zur erhalten, die dem übergeordneten Thema „Wohnen in der Innenstadt“ entsprachen. Besondere Bedeutung hatte die stadträumliche Wiederherstellung der für den barocken Stadtgrundriss der Südlichen Friedrichstadt bedeutenden Wilhelmstraße.
In diesem Sinne wurden auch die Demonstrationsziele für den Block 20 im IBA Wettbewerb „Wilhelmstraße“ 1981 formuliert: architektonische Bestimmung des Außen- und des Blockinnenraums als eine neu zu begründende urbane Form, die den historischen Stadtgrundriss unter den besonderen Aspekten von Nutzung, Verkehr, Stadtgestalt und Geschichte weiterentwickelt.
Die Zielstellung wurde in der folgenden Überarbeitung durch die Preisträger des Wettbewerbs und der IBA 1982 in Block 20 erweitert: Städtebauliche Neuordnung des Großblocks 20 durch Teilung in einen bebauten Nordteil und einen als Park angelegten Südteil; Angebot einer gemischten Nutzung im Innenhof inklusive Infrastruktureinrichtungen; Situationsspezifische Architekturtypen und integrative Wohnformen (senioren- und behindertengerechte Einrichtungen); Verkehrsberuhigung im Blockinneren.
Baubeschreibung
Siebengeschossiger, nichtunterkellerter Stahlbeton-Neubau mit 10 Wohnungen. Achsialsymetrische Gestaltung der Putzfassade, die durch Vor und Rücksprünge, sowie der Erhöhung des Mittelbaus volumetrisch stark differenziert ist. Das Bauwerk besetzt eine Baulücke und „repariert“ so den Blockrand von Block 20 an der Friedrichstraße. Es besitzt durch das Zurücksetzen von der Bauflucht und die bauliche Ausbildung eine solitärhafte Wirkung.
Der Baukörper schließt mit turmartigen Seitenflügeln an die Brandwände der angrenzenden Bauten an. Der Mittelbau mit drei Fensterachsen wird von der Bauflucht zurückgesetzt sowie aufgeständert. Ein erhöhtes Tor eröffnet so die Zufahrt zum von Ost nach West durchwegten Blockinneren. Die „Pfeilerhalle“ genannte Durchfahrt mit acht seitlichen Pfeilern auf rechteckigem Grundriss flankieren die Zufahrt und markieren zwischen Pfeilerpaaren laufende Fußwege. Die Mittelachse des Bauwerks ist durch die Erhöhung um zwei Stockwerke und einem ummauerten Dachgarten turmartig akzentuiert. Damit sollte das Bauwerk nach Verfassererklärung an „Burg- und Stadttorstrukturen“ (z.B. St. James Gatehouse, London) erinnern und damit seine Funktion als Übergang zum Blockinneren abbilden. Begehbare Flachdächer dienen der Dachwohnung als Außenflächen.
Die Putzfassade mit quadratischen Lochfenstern auf fünf Fensterachsen wird von einer minimalen Blechtraufe abgeschlossen. Die turmartigen Seitenflügel sollten an der Straßenseitigen Fassade das Thema der Zeit im öffentlichen Raum aufnehmen. Eine Uhr sollte durch angebrachte Zahlen und einer sich bewegenden Platte gebildet werden. Die Stunde wäre durch das Abdecken einer Zahl angezeigt worden. Die baulichen Themen Uhr- und Torhaus werden Diese Konstruktion erklärt die Bezeichnung des Bauwerks als „Uhrenhaus“ mit einer „Uhr der abwesenden Zeit“. Die Uhrenfassade wurde vermutlich aus finanziellen Gründen nicht ausgeführt, sondern die Planung verändert. Die Zahlen wurden durch Fenster ersetzt, die vorher seitlich Richtung Durchgangsraum geplant waren. An der Innenhoffassade wurden auf Drängen der Stadtverwaltung an vier Geschossen (1–4) jeweils Balkone angebracht. Die ehemals mit einem grauen, von John Hejduk „berlin gray“ genannten Anstrich versehene Fassade, wurde im Zuge eines Neuanstrichs Ocker überfasst und dadurch in seiner beabsichtigten Wirkung vermutlich mutwillig verändert.
Das Gebäude ist auf einer 60 cm starken Stahlbetonplatte gegründet, diese lagert auf Bohrpfählen, teilweise Neuen, teilweise auf wiederverwendeten Pfählen der Vorbebauung. Die Gründung führte zu besonderen Schwierigkeiten, die eine Unterkellerung und eine Tiefgarage verhinderten. Im in Stahlbeton ausgeführten Bauwerk dienen Längs- und Querwände in Verbindung mit 16 cm starken Deckenscheiben als Aussteifung.
Im Wohngebäude sind insgesamt zehn Wohnungen, davon 3 Dreizimmerwohnungen, 4 Vierzimmerwohnungen, 2 Vierzimmer-Maisonetten-Wohnungen, und 1 Fünfzimmer-Maisonetten-Wohnung. Die Wohnungen sind jeweils durchgehend und haben daher sowohl Orientierung zum Straßenraum, wie zum Hof. Die Wohnungen werden mit in den seitlichen „Türmen“ liegenden einläufigen Treppen erschlossen, ein geplanter Aufzug wurde nicht ausgeführt.
Als zwei eigenständige Baufomen werden Tor- und Uhrenhaus Teil der Hejdukschen Formenwelt. Der Architekt verwendet diese Typen zum Beispiel erneut 1984 im IBA Wettbewerb „Prinz Albrecht Palais“ (heute Topographie des Terrors). Als Element Nr. 13 seines Wettbewerbsbeitrags “Victims“ [siehe Abbildung: „Mask of Medusa“, 1989] sollte das Torhaus den Zugang auf das Areal markieren, eine Prozession von “Opfern“ sollte durch diesen Zugang führen. Im Kontext der Aufgabenstellung könnte das Torhaus daher in diesem Fall als Zitat der Torhaustypen der KZ-Lager (z.B. Buchenwald) gedeutet werden.
Planungsgeschichte
Grundlage ist die Einladung von John Hejduk 1980 zum Internationalen engeren Wettbewerb „Wilhelmstraße“. Ziel des 1981 durchgeführten Wettbewerbs war die Entwicklung von Bebauungs- und Freiraumkonzepten für die drei Blöcke 9, 19 und 20 die durch die durch den Verlauf der Wilhelmstraße und der Friedrichstraße im unteren Teil der Südlichen Friedrichstadt begrenzt sind.
Hierfür entwickelte John Hejduk ein „Berlin Mask“ genanntes Konzept. In diesem Konzept umgibt Hejduk das gesamte Wettbewerbsareal als Einfriedung mit einer Hecke und platziert insgesamt 28 bauliche Elemente, „Masken“ genannt, zwischen die eingefriedeten Blockfragmente der zerstörten Stadt. Jedes bauliche Element übernimmt durch ihre spezifische Gestaltung eine ihr zugewiesene Rolle in einer „Maskerade“. Der Nutzer stülpt sich durch Betreten und Nutzen der „Maske“ eben diese Rolle über und wird so Teil der architektonischen Inszenierung im städtischen Raum. Dabei weist Hejduk auf die Atmosphäre des kriegszerstörten Ortes hin und beschreibt ihn, Balzacs „Eugénie Grandet“ zittierend, als: “more depressing to the sight, than the dimmest cloister“. Die architektonisch exzetrische Inszenierung wird in diesem Sinne als künstlerische Auseinandersetzung mit Ort und Geschichte verständlich, die mit den Mitteln der Verfremdung und der Analogie arbeitet und ihre Nutzer als Bestandteil in das Werk einbindet. Hejduk präsentierte u.a. 1989 mit „Security“ in Oslo eine ausgeführte Weitentwicklung dieser Inszenierungsarchitektur.
John Hejduk erhält im erwähnten IBA Wettbewerb „Wilhelmstraße“ 1981 einen Sonderpreis und wird zur weiteren Planung in Block 20 eingeladen. Es folgt eine Überarbeitung des Blockkonzepts durch die Preisträger 1982. Die genaue Baustelle wird bei der New York Reise von J. P. Kleihues 16.–20.05.1982 bei einem Treffen mit Hejduk mündlich vereinbart und städtebaulich erörtert. Dies wurde protokollarisch notiert: „auf Grundlage des Sonderpreises sind im Rahmen der nachfolgenden Seminare drei Orte für Projekte von John Hejduk vorgeschlagen worden…Lückenbebauung Friedrichstraße 234“ [Landesarchiv, Lfd. Nr. 1542]. Da das Projekt von Kleihues als „sehr klein“ eingeschätzt wurde, erhielt Hejduk ebenfalls Planungsrecht für die „drei Giebel“ der Charlottenstraße 95 (Projekt Atelierturm). Hejduk beginnt 1982 vermutlich unmittelbar nach der Besprechung mit der Planung, wobei Torhaus sowie das weitere Projekt des Ateilerturms Charlottenstraße 95 vermutlich parallel entstehen [siehe Abbildungen: Hejduk, Skizzenbuch 1982; Ansicht Friedrichstraße 1982].
Die 1983/84 durchgeführte Bürgerbeteiligung im Rahmen des Flächennutzungsplanverfahrens führt zu Problematisierung der Durchfahrt ins Blockinnere als öffentliches Straßenland und der Umwidmung des Innenhofs. Die Zustimmung des Bezirks zum Blockkonzept erfolgt jedoch erst 1987, da wegen Bedenken zum Schallschutz (wegen der Hofstraße) und z.B. zu einem im Innenhof liegen Bauprojekt (den sog. Kopfbauten von Hansjürg Zeitler) kein Einvernehmen hergestellt werden konnte: “Die Stadtteilkommission lehnt die bisher von IBA, Senat und Bezirk vorgestellte Planung für den Block 20 ab, weil sie den Bedürfnissen sämtlicher Betroffenen in mehrfacher Hinsicht entgegensteht“ (Beschluss vom 03.12.1985).
Nach Auflagen (u.a. Balkone zum Innenhof) und Aufhebung von Bedenken z.B. gegen Wohnen über der Durchfahrt wird erst 1988 die Baugenehmigung für das Haus Friedrichstraße 234 erteilt. 1990 erfolgt der Baubeginn mit Freilegung der Bestandsfundamente. Die Finanzierung über den sozialen Mietwohnungsbau sowie Auflagen des Bezirks beeinflussten die Umsetzung des Hejdukschen Entwurfs: Der Entwurf wird stärker auf die Problematik der bisher niedrigen Wohnungszahl als auch auf Sparvorgaben ausgerichtet: Sowohl Klinkerfassade als auch Uhr entfallen. Der Mittelbau wird wegen der großen Bautiefe verschmälert und ermöglicht nun statt einer Wohnung pro Geschoss zwei schmale Wohnungen auf einer Ebene als “Durchwohnung“. Die planerische Veränderung bricht mit dem vormaligen Konzept von “dienenden“ Funktionen in den Seitentürmen und den “Bedienten“ im Mittelbau. Leider entfällt dadurch die von Hejduk beabsichtigte Beziehung von Hülle und Inhalt. Der Aufzug entfällt und ein Mittelpodest wird im Treppenlauf eingebracht. Bewohner kritisieren die mangelhafte Ausführung, die durch den Sparzwang entstand. Statt der geplanten Klinkerfassade wird eine Thermoputzkonstruktion verwendet und mit der Farbe „berlin gray“ [Hejduk] gefasst. Baufertigstellung mit Schlussabnahme am 19.06.1991.
Der Verfasser
John Hejduk zählt zu den innovativsten Architekturtheoretiker der letzten 40 Jahre im englischsprachigen Raum. Er wurde am 19 Juli 1929 in New York, USA geboren, er starb am 3 Juli 2000. Hejduk gehörte neben Peter Eisenman, Michael Graves, Charles Gwathmey und Richard Meier zur Architektengruppe “The New York Five “, auch als „The Whites“ oder “Texas Rangers“ bekannt (als opponierende Theoretiker zu den “Grays“ genannten Gruppe mit Bob Stern, Charles Moore u.a.). Die Grundlage der Gruppe bestand in der Orientierung an der rationalen Moderne der 20er Jahre, Le Corbusier und dem De Stijl. Ihre Arbeiten wurden erstmals auf der „CASE “ (Conference of Architects for the Study of the Environment) Konferenz 1967 gezeigt. Sie erlangten durch eine Ausstellung im Museum of Modern Art in New York, USA 1972 internationale Bekanntheit. Von 1972 bis 2000 war Hejduk Dekan der Cooper Union School of Art and Architecture und prägte mit seinen theoretischen Arbeiten und seiner Lehre, wie z.B. die studentische Entwurfsaufgabe des “Nine Square Grid design problem“ die Architekturausbildung und die Theoriediskussion in den USA.
Zu Hejduks hauptsächlich ungebautem Werk gehören u.a. die ungebauten Projekte Diamond Museum C (1963–67), One-Half House (1966), Bye House (1971) und das North East South West House (1974–78). John Hejduks Bauten für die IBA 87 sind, neben dem Umbau der Bibliothek der Cooper Union und temporären Installationen, seine einzigen, zu Lebzeiten fertiggestellten Bauten. Sie stellen damit das einzige authentische architektonische Werk Hejduks dar. Angesichts der architektonischen und künstlerischen Bedeutung John Hejduks werden seit seinem Tod am 03 Juli 2000, Projekte durch Interessensgruppen umgesetzt, so das „Wall House 2“ (Groningen, Niederlande 2001) und die „Hejduk Towers“ (City of Culture, Galizien, Spanien, 2003), umgesetzt und interpretiert von Peter Eisenman in Gedenken an seinen Kollegen und Freund John Hejduk.