Wohnhof LiMa

Wohnhof LiMa Beitrag von Eva Koch

• Lage: Markgrafenstraße 5–8, Lindenstraße 81–84, Berlin-Kreuzberg
• Gebäudetyp: Wohngebäude
• Bauzeit: 1984–86
• Architekt(en): Architectenburo Herman Hertzberger BV – Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller
• Bauherr: Wohnbau-Nord GmbH im Erbbaurecht des Landes Berlin

Die Städtebauliche Ausgangssituation unmittelbar vor den IBA-Planungen
Die städtebauliche Situation unmittelbar vor Planungsbeginn weist eine stark heterogene bauliche Struktur von Blockfragmenten der Bebauung bis 1945, den einzelnen Bauten aus dem Wiederaufbauprogramm der 1950er und 1960er Jahre, wie dem Springer-Haus, und der Nutzung großer Restflächen für Parkplätze auf, die ihre Ursache in der oben dargestellten Stadt- und Verkehrspolitik hat.

Auf Grund ihrer zentralen Lage und der verschiedenen Standorte des nationalsozialistischen Regimes innerhalb der Südlichen Friedrichstadt kam es dort während des II. Weltkriegs zu besonders starken Zerstörungen. Die das Gebiet bis zu diesen Zerstörungen prägende Baustruktur der Blockrandbebauung mit straßenseitig repräsentativen Geschäfts- und Verwaltungsbauten, deren Entwicklung in den vorangegangenen Abschnitten beschrieben wurde, und die dadurch entstandene Bildung des Straßenraums war weitgehend verloren.

Während erste Planungen zum Wiederaufbau der Südlichen Friedrichstadt sich noch an dem historischen Stadtgrundriss orientierten, lösten sich einzelne Baumaßnahmen, wie der Neubau des Verlagshauses Springer, und spätere städtebauliche Planungen von diesem.

Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand Juli 2012; Foto: Gunnar Klack
Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand April 2016; Foto: Gunnar Klack

Demonstrationsziel und Planungsgeschichte
Durch den Neubau des Wohnhofes im Anschluss an die bestehende Wohnbebauung wurde eine städtebauliche Schließung des Baublockes angestrebt. Hierdurch sollte der öffentliche Straßen- und Platzraum zwischen Linden- und Markgrafenstraße unter Einbeziehung der Altbauten (Victoria-Gebäude) und der neuen Gebäude aus den 1960er und 70er Jahren, insbesondere der Jerusalem und Neuen Kirche wieder gefasst werden. Des weiteren zählten die Entwicklung differenzierter Wohnformen und die Beteiligung der künftigen Bewohner an der Planung, am Ausbau und an der Verwaltung zur Zielsetzung des Neubauvorhabens. Mit dem Bau der Wohnanlage wurde im Herbst 1984 begonnen. Dem voraus ging der erste Bauherrenwettbewerb der IBA.

Die IBA reagierte mit dem Instrument Bauherrenwettbewerb auf die gravierenden Durchführungsprobleme in den IBA-Neubaugebieten. Organisiert als reine Planungsgesellschaft, fehlten der Bauausstellung Berlin GmbH seit ihrer Gründung wesentliche Instrumente zur Sicherung ihrer Planungen und Konzepte im Durchführungsprozeß. … Einige Bauherren wollten nachdem sie das landeseigene Grundstück gekauft oder gepachtet hatten, die IBA-Planung nicht mehr realisieren – meist mit dem Hinweis auf Wirtschaftlichkeit. Andere Bauherren benutzten den Anspruch und den enormen Realisierungsdruck der IBA ’84/’87 `dazu, um gegenüber der Wohnungsbaukreditanstalt Berlin (WBK) 20–30% höhere Baukosten geltend zu machen. Eine klare Bindung potentieller Bauherren an die Entwürfe und Architekten … durch die Kauf- bzw. Erbbaurechtsverträge bei landeseigenen Grundstücken verstößt gegen das sog. Kopplungsverbot (Art. 10, §3 MRVG). Die von der IBA im Zusammenspiel mit Senatsverwaltungen angeregten Verhandlungen mit bauwilligen Investoren (…) stießen auf den Widerstand insbesondere des Bezirks Kreuzberg.
[Rainer Emenlauer, der damalige Geschäftsführer der IBA, in der Architekturzeitschrift Arch+ Nr. 74, S.59–62, Mai 1984].

Im Fall der Planung für die Grundstücke Markgrafenstraße 5–8/Lindenstraße 81–84 wurde der Entwurf und die Anfertigung von Bauplänen im Maßstab 1:100 durch das Architekturbüro Herman Hertzberger von der IBA vorfinanziert. Dabei konnte durch die Zusammenarbeit Herman Hertzbergers mit den Berliner Kontaktarchitekten Hinrich und Inken Baller von vorneherein die Einhaltung der Berliner Wohnungsbauförderungsbedingungen berücksichtigt und eine Baubeschreibung mit Kostenermittlung nach DIN 276 gemäß Berliner Baukostenniveau erstellt werden.

Im August 1983 erhielten sechs von der Senatsverwaltung und dem Bezirk Kreuzberg ausgewählte Bauherren bzw. Bauträger die Ausschreibungsunterlagen. Es handelte sich hierbei um drei private und drei gemeinnützige Bewerber, von denen letztendlich vier ihre Angebote abgaben. Nach einer Vorprüfung der Angebote konnte im Dezember 1983 schließlich die Auswahlkommission (sieben stimmberechtigte Mitglieder: Bezirksstadtrat für Finanzen Kreuzberg, Bezirksstadtrat für Bauwesen Kreuzberg, je ein Vertreter der drei im Kreuzberger Bezirksparlament vertretenen Parteien CDU, SPD und AL, ein Vertreter der Senatsverwaltung für Bau- u. Wohnungswesen und der Geschäftsführer der IBA) abstimmen. Jedoch konnte der Wettbewerbsgewinner anschließend nicht die vollständige Realisierung seines Angebots gewährleisten, weshalb im Januar 1984 das zunächst auf den zweiten Platz gewählte Angebot den Zuschlag erhielt. Zwei wichtige Auflagen waren hierbei, die rechtliche Absicherung der Mieterbeteiligung an der Verwaltung und Bewirtschaftung der Wohnanlage, was Teil des Entwurfskonzepts und der Demonstrationsziele des Vorhabens war, sowie das Einvernehmen mit dem Architekten Herman Hertzberger nicht zuletzt auf Grund der baulichen Veränderungen an seinem Entwurf. Den Auflagen konnte mit der Gründung der Selbstbaugenossenschaft eG und dem Architektenvertrag für Herman Hertzberger und die Kontaktarchitekten Baller genüge getragen werden.

Der Bauantrag wurde im März 1984 eingereicht. Statt der zunächst vorgesehenen Unterbringung von Stellplätzen im Sockelgeschoss, war nun eine Tiefgarage unter dem Innenhof vorgesehen. Die Verglasungen der Küchen zu den Treppenhäusern wurden von der Bauaufsicht aus Brandschutzgründen nicht zugelassen. Aber als Kompromiss wurde erreicht, dass durch die verglaste Windfangtür von der Küche ins Treppenhaus geblickt werden kann. Mit dem Bau konnte im Dezember 1984 begonnen werden, eine endgültige Baugenehmigung erfolgte jedoch erst im März 1985. Mit dem Bezug der Wohnungen wurde im Frühjahr 1986 begonnen. Die Baufertigstellung schließlich war im Sommer 1986 vollzogen.

Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand 2012; Foto: Andreas Salgo
Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand 2012; Foto: Andreas Salgo

Städtebauliche und/oder architektonische Lösung zur Erreichung des Demonstrationszieles
Die Wohnanlage um einen Wohnhof nimmt die Fluchten der Wohnbebauung, an die sie direkt anschließt, auf und schließt den Block halbkreisförmig ab. Durch die Abstufung der Baukörper von fünfeinhalbgeschossigen Gebäudeteilen zu dreigeschossigen, vermittelt die Wohnanlage in der Höhenentwicklung zwischen den bestehenden siebengeschossigen Wohngebäuden und der Jerusalem und Neuen Kirche. Diese steht nun stadträumliche wie auf einem Vorplatz vor der Blockbebauung. Durch die städtebauliche und architektonische Gestaltung entsteht eine Abfolge vom öffentlichen zum privaten Raum, die sich über den inneren Wohnhof, die Gemeinschaftsräume im Sockelgeschoss und die großflächig verglasten Treppenhäuser bis zu den einzelnen Wohnungen hin fortsetzt. Diese Staffelung vom öffentlichen zum privaten wurde auch bei der Grundrissplanung weiter berücksichtigt, so verfügen z.B. alle Wohnungen über große Balkone, die sowohl einen schwer einsehbaren, überdeckten, als auch einen offenen Bereich besitzen, um mit den umliegenden Nachbarn Gespräche führen zu können.

Die Beteiligung der späteren Nutzer am Ausbau und an der Verwaltung war eine Auflage des Bauherrenwettbewerbs. Als Ergebnis dessen wurde die Selbstbaugenossenschaft eG gegründet.

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Baubeschreibung ausgeführter Bau ursprünglich und heute
Die von Herman Hertzberger geplante Wohnanlage mit 48 Wohneinheiten um einen Wohnhof (Markgrafenstraße 5–8, Lindenstraße 81–84) schließt nördlich an zwei siebengeschossige Wohngebäude an und nimmt die Fluchten dieser auf, nach Süden schließt sie die Blockrandbebauung halbkreisförmig ab. Die jeweils an die Bebauung anschließenden Baukörper wurden fünfeinhalbgeschossig ausgeführt, während die übrige Bebauung dreigeschossig ist. Die Erschließung erfolgt über fünf Durchgänge zum Innenhof und den daran angegliederten Treppenhäusern, die als „vertikale Straßen“ gedacht sind. Hinzukommen drei weitere Treppenhäuser und Durchgänge nördlich, die die Erschließung der dort befindlichen Wohnungen und den Zugang zum dahinterliegenden Hof zwischen den bereits bestehenden Wohnzeilen ermöglicht. Unter dem Innenhof befindet sich eine Tiefgarage. Es entstanden 39 3-Zimmerwohnungen, sechs 2-Zimmerwohnungen, zwei 4-Zimmerwohnungen und eine 5-Zimmerwohnung, die jeweils über einen Balkon verfügen.

Die Wohnanlage wurde in Massivbauweise errichtet. Im Kontrast zu den transparent gestalteten Treppenhäusern wurden die Außenwände verputzt und weiß gestrichen und durch die Holzfenster mit sichtbar belassenen Stahlbetonstürzen, den bis zu 6 Meter hohen Stahlbetonstützen und den Stahlbetonplatten der Balkone gegliedert. Das Grundprinzip Hertzbergers von der Staffelung von öffentlichen, halb-öffentlichen und privaten Räumen, dass das Miteinander der Bewohner ausgewogen ermöglicht, wurde von der städtebaulichen Konzeption bis hin zum Wohnungsgrundriss umgesetzt (s.o.). Es erfolgten äußerlich keine baulichen Veränderungen. Im Bauaktenarchiv finden sich Unterlagen zum Einbau einer Galerieebene in einer Maisonettewohnung, im Sinne der Beteiligung der Nutzer am Bau, sicherlich keine unerwünschte Veränderung.

Wohnhof LiMa, Baudetail Innenhof, Zustand Oktober 2010; Foto: Gunnar Klack
Wohnhof LiMa, Baudetail Innenhof, Zustand Oktober 2010; Foto: Gunnar Klack

Der Architekt und sein Werk
Herman Hertzberger
Geboren am 6. Juli 1932, Amsterdam, Niederlande
• 1958: Abschluss des Architekturstudiums an der TU Delft, Niederlande
• seit 1958 Architekturbüro in Amsterdam, Niederlande
• 1959–63: Redakteur der Zeitschrift Forum mit Aldo van Eyck und Jaap Bakema
• 1965–69: Lehrauftrag an der Architektur Akademie Amsterdam, Niederlande
• 1970–99: Professor an der TU Delft, Niederlande
• 1982–86: Gastprofessur an der Universität Genf, Schweiz
• 1986–93: Professor an der Universität Genf, Schweiz
• 1990–95: Professor/Dozent am Berlage Institut in Amsterdam, Niederlande
• 1999–2000 Lehrauftrag am Berlage Institut Amsterdam, Niederlande
• 2000 Gastdozent an der Architektur Akademie Amsterdam, Niederlande

Herman Hertzberger gehört zu den bekanntesten niederländischen Architekten. Er erhielt bereits zahlreiche nationale und ausländische Preise und Ehrungen. Mit dem Bau des Verwaltungsgebäudes der Versicherungsgesellschaft Central Beheer in Apeldoorn, 1968–72, wurde er international bekannt, eine Auswahl weiterer Werke (chronologisch):
• 1969–70 Wohnhäuser Diagoon, Delft
• 1973–78 Musikzentrum Vredenburg, Utrecht
• 1979–90 Ministerium für Arbeit und soziale Angelegenheiten, Den Haag
• 1984–86 De Evenaar. Schule und Kindergarten, Amsterdam
• 1986–93 Theaterzentrum Spui, Den Haag
• 2000–05 Hauptsitz Waternet in Amsterdam
• 2003–08 Aramis Allewonen Bürogebäude, Roosendaal
• 2006–11 Wissenschaftsfakultät der Universität Utrecht

Zentraler Entwurfsgedanke seiner Schul-, Kultur-, Verwaltungs- und Wohnbauten ist die Idee durch das Zusammenfügen überschaubarer, kleiner Einheiten zu einer Großform, den Nutzern seiner Bauten die individuelle Ausgestaltung zu überlassen, Weiterentwicklung und Veränderung zu ermöglichen und „als ein Katalysator sozialer Beziehungen zu fungieren“. [S.7 in Hertzberger, Herman/Bergeijk, Herman van. Birkhäuser Verlag, Basel u.a, 1997.]

Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand Juli 2012; Foto: Gunnar Klack
Wohnhof LiMa, Herman Hertzberger mit Henk de Weijer, Kontaktarchitekten Inken und Hinrich Baller, Zustand Juli 2012; Foto: Gunnar Klack

Literatur
• Bauausstellung Berlin GmbH (Hrsg.): Idee, Prozeß, Ergebnis. Die Reparatur und Rekonstruktion der Stadt. Internationale Bauausstellung Berlin 1987. Berlin, 1984.

• Bauausstellung Berlin GmbH (Hrsg.): Wohnen und Arbeiten in der Südlichen Friedrichstadt, Internationaler engerer Wettbewerb, Kochstraße/Friedrichstraße, Berlin, 1980.

• Bauausstellung Berlin GmbH (Hrsg.): Städtebaulicher Rahmenplan, Südliche Friedrichstadt, Berlin- Kreuzberg, Arbeitsbericht. Berlin, 1984.
Bauausstellung Berlin GmbH (Hrsg.): Internationale Bauausstellung Berlin 1987, Projektübersicht. Berlin, 1987.

• Hertzberger, Herman/Bergeijk, Herman van. [Transl. Engl.-German: Ute Spengler, Amden]. – Basel [u.a.] : Birkhäuser, 1997. (Studiopaperback).

• Hertzberger, Herman: Articulations/Herman Hertzberger. – München [u.a.] : Prestel, 2002. Lüchinger, Arnulf (Hrsg.): Herman Hertzberger, Bauten und Projekte 1959–86, Den Haag, 1987. Bauakten im Bezirksamt Kreuzberg Akten des IBA-Archiv im Landesarchiv Berlin